Gundert,Helmut

Ich war hungrig…. Lebenserinnerungen von Dr. Helmut Gundert


Reutlingen. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Keine® isst allein“ fand am vergangenen Dienstag in der Reutlinger Osiander-Buchhandlung eine Lesung mit Dr. Helmut Gundert statt. Knapp 60 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer waren gekommen, um den Lebenserinnerungen des ehemaligen „Brot für die Welt“- Mitarbeiters zu lauschen.
Eigentlich hatte er seine Erinnerungen für seine Kinder und Enkel aufgeschrieben, angeregt durch das Kirchentagsmotto 2005 „Wenn dein Kind dich morgen fragt“. Und eigentlich trug diese ursprüngliche Fassung für seine Verwandten und Bekannten den Titel eines vietnamesischen Sprichwortes „Wenn du aus den Fluß trinkst, denke an die Quelle“. Sein ehemaliger Arbeitgeber Brot für die Welt ermutigte Gundert jedoch dazu, seine Erinnerungen in gekürzter Fassung unter dem Titel „Mein widerständiges Leben“ in größerer Auflage zu veröffentlichen und so einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Und lesenswert sind Gundert’s Erinnerungen allemal, zumal das Buch auch interessante Zitate und Zeitdokumente enthält. So beschreiben die Worte „Ich war hungrig…“ nicht nur einen Zustand, den der nunmehr 86-jährige Gundert in der Kriegsgefangenschaft und im Nachkriegsdeutschland noch selbst erlebte, sondern sie sind auch immer wiederkehrende Worte auf dem Titelblatt des „Brot für die Welt“- Arbeitsheftes zum Jahresthema „Hunger durch Überfluß?“. Sätze wie: „Ich war hungrig – und ihr habt meine Nahrungsmittel eurem Vieh verfüttert“ oder „Ich war hungrig – aber ihr habt aus Zuckerrohr und Maniok Treibstoff für eure Autos destilliert“ beschrieben schon vor über 30 Jahren einige der vielen Ursachen für den Welthunger kurz und treffend und sind heute noch genauso aktuell wie damals im Jahr 1981.
Viele Erfahrungen hat Gundert auf seinen vielen Dienstreisen für Brot für die Welt in vier Kontinenten gesammelt. Sie alle führten ihn zu der Erkenntnis, die Erich Kästner schon vor Jahren so in Worte gefaßt hatte: „Es geht auf keinen Fall so weiter, wenn es so weitergeht“. Hatte er doch mit eigenen Augen gesehen, was die Landwirtschaftspolitik des reichen Westens in den armen Ländern für fatale Folgen hatte. So zerstören die hier mit hohen Subventionen billig auf dem Weltmarkt entsorgten Agrarüberschüsse des Westens dort einheimische Märkte und Arbeitsplätze. Aufschlußreich hierbei die Aussage eines US-Senators Mitte der 80-er Jahre, welcher dafür plädierte, die eigenen Farmpreise zu senken, um „die Entwicklungsländer jetzt zu entmutigen, sich selbst zu versorgen“ und dies als „eines der vordringlichsten Ziele unserer Agrarpolitik“ ausgab. Auch dieses Zitat ist in Gunderts gut lesbarer aber dennoch fundiert aufgeschriebener Autobiographie zu finden.
Weil es so auf keinen Fall weitergehen kann, weil auch die Art und Weise, wie Lebensmittel erzeugt werden, Mensch und Umwelt dienen sollten, übernahm Gundert nach seinem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ehrenamtlich die Geschäftsführung des baden-württembergischen Landesverbandes für Bioland. Vielfalt auf den Äckern statt Monokulturen, keine Kunstdünger, keine Pestizide und keine Gentechnik, dafür artgerechte Tierhaltung ohne Antibiotika und ohne importierte Futtermittel aus der sogenannten „Dritten Welt“ – dafür steht die biologische Landwirtschaft und dafür wollte sich auch Gundert einsetzen. Wobei er bei seiner Lesung betonte, daß er auch konventinell arbeitende bäuerliche Familienbetriebe achte und schätze, sich aber gegen die industrialisierte Landwirtschaft mit Monokulturen und Massentierhaltung einsetze.
Weitere wichtige Anliegen Gunderts sind für ihn sein Einsatz für Frieden und Abrüstung, sein Eintreten gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sowie seinen persönlichen Beitrag zu Ressourcenschonung und Energie-Einsparung. So hatten Gundert und seine Frau einem kambodschanischen Asylbewerber Wohnraum in ihrem Haus in Wolfschlugen zur Verfügung gestellt und ihr eigenes Auto erklärten sie zum „Nachbarschaftsauto“. Beides habe er nicht bereut und nur positive Erfahrungen damit gemacht. Letztendlich versucht Gundert in all seinen Lebensbereichen, sei es der Umgang mit Mitmenschen, mit Lebensmitteln oder mit dem persönlichen Verbrauch an Energie und Ressourcen ein Motto zu beherzigen, das Brot für die Welt bereits Ende der 70-er Jahre angesichts der ersten Energiekrisen entwickelt hatte: „Einfacher leben – damit andere einfach leben können“.
Helmut Gundert: „Mein widerständiges Leben – Erinnerungen eines Aktivisten“
Lesenswerte Autobiographie und Zeitgeschichte

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